Wichtig: Geschlechtsspezifischer Ansatz

Mädchen, Jungen und ihre Eltern wollen wissen, wie sie es vermeiden können, Opfer von Gewalt zu werden. Dabei erleben Mädchen Gewalt tendenziell anders als Jungen.

Mädchen werden anders erzogen, müssen andere Rollenerwartungen erfüllen, haben andere Lebensthemen, erleben andere Situationen und andere Gewalt als Jungen. Deshalb muss ein Kurs für Jungen anders gestaltet sein, als ein Kurs für Mädchen. Dies gilt sowohl für Kinder als auch für Jugendliche.

Das geschlechtsspezifisch ausgerichtete Konzept "Stark-sicher-fair" wird der Unterschiedlichkeit von Mädchen und Jungen gerecht und setzt am jeweiligen Rollenbild und Erfahrungshintergrund an.

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Speziell für Mädchen

Klischees und Vorurteile:

"Schreien nützt nichts, es hilft doch sowieso keiner!"
"Jungs sind stärker als Mädchen!"
"Eine Frau hat doch gar keine Chance gegen einen Mann, wenn es drauf ankommt"
" Der Angreifer wird doch nur noch brutaler, wenn man sich wehrt"
"Es werden eher Mädchen und Frauen Opfer von sexueller Gewalt, die sich zu freizügig anziehen".

Mit diesen Meinungen und Bildern wachsen auch heute noch viele Mädchen auf. Hier gilt es mit Vorurteilen aufzuräumen und sensibel, kompetent und klar zu informieren.

Sexualisierte Gewalt:

Wenn ältere Mädchen oder Frauen im Kurs gefragt werden, welche Form der Gewalt das Hauptthema sein soll, dann entscheiden sie sich in den meisten Fällen für sexualisierte Gewalt. Das ist nur folgerichtig, denn mehr als Jungen wachsen sie mit der Angst davor auf und wissen, dass sie eher der Gefahr von sexuellen Übergriffen ausgesetzt sind. Überfälle oder Konflikte mit Körperverletzung betrifft Mädchen und Frauen dagegen nur in geringem Ausmaß.

Grenzen setzen lernen:

Bei sexuellen Übergriffen und Vergewaltigung sind ca. 70% - 80% der Täter den Opfern bekannt. Das alleine macht schon klar, wie wichtig es ist, dass Mädchen und Frauen sich ihrer Grenzen bewusst sind und diese im Falle einer Grenzüberschreitung klar und eindeutig setzen können. Und dies egal, ob sie den Täter gut kennen oder gar nicht.

Erfahren der eigenen Wehrhaftigkeit:

Viele Mädchen im Kurs wissen nicht, wie die Hand zu einer festen, starken Faust geballt wird. Wenn sie mit dem Daumen in der Faust im Ernstfall zuschlagen würden, dann wäre dies für sie von großem Nachteil. Viele Kursteilnehmerinnen sind sich ihrer Kraft zudem überhaupt nicht bewusst, denn spielerische Rangeleien und Spaßkämpfe sind sie nicht gewohnt. Deshalb ist es hier umso wichtiger, dass sie im Kurs ausreichend Gelegenheit haben ihre Kraft zu erproben und ihre "Schlagkraft" kennenzulernen. Weil nur, wer weiß, dass sie sich wehren kann, kann auch im Ernstfall darauf vertrauen und sich trauen.

Wie in den Jungenkursen ist das angeleitete Zerschlagen eines Holzbrettes (nicht "angesägt!") eines der Highlights im Kurs.

Sich "dünn machen" – die weibliche Körpersprache:

Mädchen, wie Frauen tendieren im Alltag dazu in ihrer Körpersprache – im Sitzen, im Stehen, im Gehen - eher wenig Raum einzunehmen, bzw. sich eher klein oder schmal zu machen. Schon im Kindergarten sitzen manche Vorschülerinnen z.B. mit übereinandergeschlagenen Beinen auf ihren Stühlen, wie ihre älteren oder schon erwachsenen Rollenvorbilder. Auch der Stand oder der Gang ist oft schon ganz "mädchentypisch". Bei den Jungs ist dies anders: je älter sie werden, desto breiter sitzen sie auf ihren Stühlen, bzw. gehen oder stehen sie. Nun ist dies zuersteinmal nicht tragisch, nur muss dies Mädchen und Frauen bewusst sein. Täter bevorzugen Opfer, die ängstlich und unterwürfig reagieren und möglichst keine Gegenwehr leisten. Dies versuchen sie im Vorfeld einzuschätzen. Und sie achten hier eben am meisten auf die Körpersprache. Wer sich klein macht und dazu noch unsicher lächelt oder den Blick senkt, wirkt nicht wehrhaft, sondern schüchtern und ängstlich. Deshalb wird in einem Mädchenkurs das Sich-groß-machen viel mehr geübt und thematisiert als in einem reinen Jungenkurs.

Gewaltbereite Mädchen:

Doch wie wir wissen, gibt es auch immer mehr Mädchen, die gewaltbereit sind. Diese findet man allerdings nicht in jedem Kurs. Doch wenn eine oder zwei dabei sind oder der ganze Kurs aus solchen Mädchen besteht, dann muss dem Rechung getragen werden. In diesem Falle nähert sich die Kursthematik der von Jungenkursen an.

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Speziell für Jungs

"Das starke Geschlecht!?"

Jungen wachsen immer noch mit der Vorstellung und der Bürde auf, das "starke Geschlecht" zu sein und sie spüren die Erwartungshaltung ihres Umfeldes an sie, diesem "Ruf" gerecht zu werden. "Schwache" Gefühle, wie Hilflosigkeit und Ohnmachtsgefühle spalten sie ab und verdrängen sie. Sie gewöhnen sich an, so zu tun "als ob". Als ob es nicht weh tut, als ob es ihnen nichts ausmacht und als ob sie keine Angst haben. Und je älter sie werden, desto mehr tun sie das.

Weinen und Angst zeigen oder diese sogar zuzugeben, das machen Mädchen. Ein Junge, der das offen und öffentlich tut , wird denn auch als Memme oder – schlimmer – als "Mädchen" beschimpft.

Ärger, Wut und Aggression dagegen, können Jungen ungehemmt, offen und direkt zeigen und ausleben, ohne befürchten zu müssen, sich zu blamieren und ausgelacht zu werden – nur verständlich, dass sie gut darin sind.

Was ist männlich?

Zuhause, im Kindergarten, in der Schule: In ihrem Alltag fehlt es Jungen oft an männlichen Rollenvorbildern und deshalb müssen sie sich ihre eigene Männlichkeit anders konstruieren. Sie erleben wie Frauen und Mädchen sind und kommen zu dem Ergebnis, dass sie anders sein müssen. Nicht leise, sondern laut - nicht ängstlich, sondern mutig – nicht vorsichtig, sondern draufgeherisch - nicht schwach, sondern stark – nicht Gefühle zeigen, sondern cool – nicht lange reden, sondern handeln.

Hier gilt es Jungen so zu akzeptieren, wie sie sind ( "Jungen halt"). Sie sollen nicht werden wie Mädchen, sondern ihr Handlungsrepertoire erweitern und zwar da, wo sie mit ihrem "üblichen" Handeln ständig Schwierigkeiten und Ärger bekommen. Stark sein, ohne andere klein zu machen heißt die Devise.

Angst als unsere "Warnblinkanlage"

zu akzeptieren ist wichtig und deshalb ist dies auch ein wichtiges Thema, besonders in einem Kurs für Jungen. Es kann keinen Menschen geben, der "nie Angst" hat, sondern "jeder Mensch hat mal Angst" . Wenn "mann" Angst hat, dann muss "mann" hinschauen wovor genau und darüber reden, um dann zu entscheiden, was zu tun ist. Ist die Angst berechtigt und mahnt zur Vorsicht oder warnt sie sogar vor großer Gefahr? Oder ist sie überflüssig und hinderlich - wie nach einem Gespräch mit einer Vertrauensperson festgestellt wird - und kann bedenkenlos übergangen und überwunden werden? Und wenn ja, was brauch ich dazu?

Um dies anschaulich zu vermitteln und auch um zu erfahren, was die eigene Kraft ( im positiven wie im negativen Sinne u.U. ausrichten kann ), wird dazu im Kurs eine angeleitete Mutprobe durchgeführt. Es wird ein Holzbrett zerschlagen. Dies ist übrigens nicht nur für Jungs das absolute Highlight im Kurs.

Körperliche Gewalt:

Hier sind Jungen eher Täter und eher Opfer als Mädchen . Blöde Anmache, Provokation und Abwertungen, enden oft in körperlicher Gewalt. Selbst Spaßkämpfe können im nächsten Moment kippen und verbissen werden und eskalieren. Das vorhandene Rollenbild "des starken Mannes" gibt Jungen vor, "sich nichts gefallen zu lassen" und keine Niederlage zu kassieren. "Lieber er, als ich" heißt die Devise.

Aber dafür gibt es in der Schule Ärger und Strafe – und ab 14 Jahren bei Strafmündigkeit natürlich vor Gericht ebenfalls.

Hier wie dort interessiert nicht nur, wer angefangen hat, sondern wer wie darauf reagiert hat. Wer Gewalt mit unnötiger (z. B. es liegt keine Notwehr vor) Gewalt beantwortet, wird ebenso bestraft wie der, der angefangen hat. Das bedenken viele Kinder nicht und handeln entsprechend.

Dieser Aspekt und die entsprechenden "straffreien" Handlungsalternativen sind mit die wichtigsten Inhalte von "Stark-sicher-fair"- Kursen für Jungen.

Sexualisierte Gewalt

bedroht Jungen weniger als Mädchen, doch sie findet statt. Deshalb wird sie in einem Kurs für Jungen genauso – altersentsprechend und sensibel (im KIGA und Klasse 1 und 2 mit Handpuppen) thematisiert wie in den Mädchenkursen. Und zwar sowohl Übergriffe von bekannten Personen, als auch von Fremden. Anhand von Geschichten und Beispielen werden Gespräche initiiert, Fragen beantwortet und Handlungsmöglichkeiten besprochen und geübt (z.B. laut schreien und weglaufen beim Angesprochenwerden vom Auto aus).

Cool bleiben und sich nicht provozieren lassen

"Ignorier ihn doch einfach!" oder "da rein, da raus!" - mit solchen Ratschlägen versuchen Eltern ihren Sprösslingen beizustehen, wenn diese von ständigen Nervereien und Provokationen Gleichaltriger berichten. Hier ist Vorsicht geboten und die (nicht vorwurfsvolle, sondern analysierende) Frage muss erlaubt sein, was der Sprössling dazu beisteuert. Am besten sich einmal so eine Situation genau schildern lassen und noch besser: mal durchspielen. Das bringt auch im Kurs oft Licht ins Dunkel. Die Kinder erzählen nämlich gerne, dass sie nur gesagt haben, dass "er mich in Ruhe lassen soll" (gehört leider in der realen Situation nicht zum üblichen Sprachgebrauch von Jungen) aber wenn man genauer nachhakt oder die Situation spielt, dann kommen eben ganz andere Worte über die Lippen. "Verpiss Dich Du....." usw. ist alles andere als eine Grenze und führt eher zur Eskalation des Geschehens.

Cool bleiben bedeutet gelassen bleiben. Den Stresser, den der provoziert, mit Blicken, Gesten und Worten ins Leere laufen zu lassen und so zu tun, als ob gar nichts gewesen wäre. Der Stresser will etwas (Streit um sich abzureagieren z.B.) und bekommt nichts. Das ist die hohe Kunst der Selbstbehauptung. Nicht auf alles draufzuspringen, was andere anbieten, sondern erst mal bei sich bleiben, sich Zeit lassen und überlegen, um "überlegen" reagieren zu können – und: strafffrei zu bleiben.
Da dies alles andere als "einfach" ist, wird dies im Kurs eingehend geübt. Die Jungen wie die Mädchen verstehen den Sinn und machen immer wieder begeistert mit.

Körperliche Selbstverteidigung oder "endlich Action!!!"

Viele Jungen raufen gerne, schauen gerne Wrestling und spielen und lieben Spiele (Playstation, X-Box, Computer, Gameboy und auch live ), die mit Kämpfen zu tun haben. Da ist klar, dass sie von einem Selbstbehauptung- / Selbstverteidigungskurs genau dies auch erwarten – wenn er nicht im Schulunterricht stattfindet. Um diese Jungs nicht direkt zu enttäuschen, muss der/die Kursleiterin sich etwas einfallen lassen und sich mehr ins Zeug legen, als für Mädchenkurse.

Technisches Equipment beeindruckt ("Geil, ein Beamer!" oder "so eine Kamera hat mein Papa auch!") aber es muss auch körperlich zur Sache gehen.

Einfach zu erlernende aber sehr effektive SV-Techniken werden altersgerecht vermittelt und hier kommen Jungs denn auch schon auf ihre Kosten. Die Aussicht auf das Brett ("wann zerschlagen wir den endlich.....???") hält sie bei der Stange und das Zerschlagen derselben macht sie stolz und glücklich.

So sind sie, nicht alle - aber viele Jungen und das ist auch gut so!

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